Deine Happiness kotzt mich an! Wie du toxische Positivität erkennst

Über toxische Positivität

Wenn du in bestimmte Coaching – und Lifestyle – Ecken des Internets schaust, gewinnst du vielleicht den Eindruck, dass es nur einen Weg gibt, das Leben zu meistern: „Think Positive!“ oder „Good Vibes only!“ grinst es dir entgegen – und wenn es dir mal nicht so gut geht? Well – dann hast du dein „Mindset“ noch nicht ausreichend aufpoliert. Selbst schuld!

Aber tut das wirklich gut, jeden negativen Gedanken und jedes unangenehme Gefühl sofort zu ersetzen? Nein, absolut nicht – und das ist auch der Grund, warum mich (entschuldige meine Wortwahl) entsprechende „Happy- Happy- Motivationscoaches“ richtig ankotzen.

Lass uns darüber reden, ab wann Positivität tatsächlich giftig wirken kann (und hör auch gerne meine Podcastfolge dazu: Toxische Positivität)

Was ist toxische Positivität?

Das Konzept der toxischen Positivität bezieht sich auf den Trend, negative Gefühle oder Erfahrungen konsequent zu ignorieren, zu leugnen oder zu bagatellisieren. Obwohl es auf den ersten Blick günstig erscheinen mag, das Positive auch in den dunklen Momenten zu sehen, kann es  – wenn es ausschließlich so praktiziert wird – sehr schädlich sein. Denn sofort die Wolken wegzuschieben, kann dich davon abhalten, eine ehrliche und authentische Beziehung zu deinen Gefühlen zu haben und echtes Mitgefühl und Verständnis für die Emotionen anderer zu zeigen. Anstatt uns zu erlauben, unsere wahren Gefühle in ihrer gesamten Bandbreite zu erleben und auszudrücken, zwingt uns die toxische Positivität, uns nur auf das Positive zu konzentrieren und das Negative zu leugnen.

Das Problem mit der toxischen Positivität

Die toxische Positivität kann in zwei Richtungen wirken. Einerseits wirkt sie sich auf dich selbst aus, indem sie dich davon abhält, deine wahren Gefühle anzuerkennen, zu akzeptieren und darüber zu reflektieren. Andererseits kann sie auch die Art und Weise beeinflussen, wie du mit den Emotionen anderer Menschen umgehst, und sogar dazu führen, dass du die Gefühle anderer minimierst oder invalidierst. Stell dir das vor, als würdest du dauerhaft die Warnleuchten in deinem Auto ignorieren, weil sie stören und den „Happy Vibe“ einschränken. Wie lange denkst du, würde dein Auto ohne diese wichtigen Warnsignale funktionieren? Gefühle sind wichtige Botschaften aus unserem Inneren – und gerade die „negativen“ Gefühle sind unsere Warnleuchten. Sie verdienen Beachtung. 

Der schädliche Einfluss von Unterdrückung

Forschungen haben gezeigt, dass das Unterdrücken von Gefühlen in Wirklichkeit zu einem erhöhten Stresspegel führt. Zudem scheinen Menschen, die ihre negativen Emotionen gut akzeptieren können, ohne sich dafür zu verurteilen oder abzuwerten, psychisch stabiler zu sein. Anstatt „Good Vibes only!“ ist also „All Vibes are welcome!“ viel hilfreicher für unser seelisches Gleichgewicht.

Wie toxische Positivität deinen Beziehungen schadet

Wenn wir Menschen begegnen, die sich schlecht fühlen, ist der Impuls sehr nachvollziehbar, deren Gedanken auf etwas Positives lenken zu wollen. Wir sind schnell bei der Hand mit Angeboten wie „Aber sieh´ es doch mal SO!“ Allerdings – ist das wirklich hilfreich? Botschaften wie: „Sei doch dankbar!“ oder „Es könnte schlimmer sein!“ invalidieren die Gefühle. Das führt dazu, dass sich die andere Person schuldig und beschämt fühlt und dass sie denkt, dass etwas mit ihr nicht stimmt. Und wären wir nicht viel lieber der Mensch für unser Umfeld, bei dem andere sich authentisch so zeigen können, wie sie sind?  Einfach zuzuhören und Verständnis und Mitgefühl zu zeigen, erscheint uns vielleicht zu wenig „aufmunternd“, ist aber oft genau richtig. 

Die Folgen einer ungesunden Emotionsregulation

Eine gute Emotionsregulation besteht darin, ein Gefühl wahrzunehmen, es zu benennen, es dann zu akzeptieren und in einem größeren Kontext zu betrachten. Wenn du jedoch von klein auf gelernt hast, dass bestimmte Arten von Gefühlen und Emotionsäußerungen nicht akzeptabel sind, dann wirst du wahrscheinlich lernen, diese Gefühle zu unterdrücken. Und dies kann dazu führen, dass du als Erwachsener Schwierigkeiten hast, deine Gefühle zu identifizieren und auszudrücken, und gleichzeitig mehr Stress erlebst. 

Wie können wir die toxische Positivität überwinden?

Es ist okay, nicht immer glücklich zu sein. Es ist okay, Traurigkeit, Wut oder Enttäuschung zu fühlen. Es ist okay, mal eifersüchtig oder neidisch zu sein. Es ist okay, menschlich zu sein. Jedes Gefühl hat seinen Platz und es ist wichtig, alle Facetten unserer Emotionen zu akzeptieren. Das bedeutet nicht, dass jedes Gefühl „wahr“ ist. Das bedeutet auch nicht, dass wir uns unseren Gefühlen ausliefern müssen und keinen Einfluss nehmen können. Aber wir dürfen die Signale aus unserem Inneren anerkennen, und dann darüber reflektieren, was sie uns sagen, und wie wir weiter vorgehen wollen. Ein guter Umgang gleicht dem konstruktiven Umgang mit den Warnleuchten am Auto: Wahrnehmen, Problem identifizieren, reflektiert handeln. Toxische Positivität bedeutet, die lästigen Lämpchen zuzukleben. 

In der WDR- Mediathek findest du mehr von mir zum Thema „Toxische Positivität“ 

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